Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton vom 05.06.2008

Deutsch-Französisches in der Wirtschaft
Von Hans-Martin Gauger  

Die deutsch-französische Freundschaft – alles ist sich einig – gehört zu den wichtigsten und positivsten Ergebnissen der Politik Europas nach 1945. Und doch sind sich beide Länder in gewissem Sinn fremd geblieben.

Man hat den Eindruck, dass wir in den Zeiten, als man noch an die „Erbfeindschaft“ glaubte, mehr voneinander wussten. Vielleicht hat jene Fremdheit in den letzten Jahren gar zugenommen. In der Kultur im engeren Sinn, also im sogenannten ‚Geistesleben‘, gilt dies ohnehin – Frankreich und Deutschland sind da deutlich zwei Welten.

Es gilt aber auch im Kulturellen im weiteren Sinn. Zum Beispiel in der Wirtschaft: in der industriellen Fertigung, im Betrieblichen, im damit verbundenen Sozialen, im Arbeitsrecht, im Management, im Wirtschaften allgemein. „Die reden immer so viel, bis man, wenn es denn überhaupt passiert, zu Potte kommt!“, sagen die deutschen Manager enerviert über ihre französischen Kollegen. „Die wollen immer gleich anfangen, bevor man sich einigermaßen kennt und die Dinge richtig geklärt sind“, klagen umgekehrt die französischen. „Die waren gar nicht vorbereitet auf das Gespräch. Sie hatten nicht mal Unterlagen dabei und haben das also gar nicht ernstgenommen!“, sagen die Deutschen. „Die kamen gleich mit dicken Ordnern, hatten alles schon parat und wollten nur, dass wir uns anschließen!“, fassen die Franzosen dasselbe Gespräch zusammen.

Dann etwa das Essen. In Frankreich ist es wichtig, dass die geschäftlichen Dinge erst einmal (und dann auch immer mal wieder zwischendurch) bei einem Essen besprochen werden, das meist auf rund zwei Stunden angelegt ist. Das leuchtet den Deutschen schon mal kaum ein, erst recht nicht in dieser ihnen für ein Arbeitsessen absurd scheinenden Länge. Und wenn sie notgedrungen darauf eingehen, legen sie gleich beim hors d’œuvre geschäftlich los, während die Franzosen, wenn man sich noch nicht kennt, voraussetzen, man müsse sich erst doch einmal kennenlernen und dann auch sympathisch finden… Ist übrigens Letzteres nicht der Fall, lassen die Franzosen die Sache oft überhaupt bleiben, während die Deutschen meinen, man wolle ja doch nur miteinander Geschäfte machen und brauche sich im übrigen nicht speziell sympathisch zu finden. Verlässlichkeit reicht ihnen und ist ihnen am wichtigsten.

Dann: ein deutscher Unternehmer (immerhin 140 Angestellte), der in Frankreich arbeitet, sagte mir: „Die denken entsetzlich hierarchisch. Die denken nach ihrem Descartes strikt in ganz festen Kästchen, aus denen sie nicht rauskommen. Und wenn man einen von ihnen einstellt, will der eigentlich nur zwei Dinge wissen: ‚Wer ist mein Chef?‘ und ‚Wem darf ich Anweisungen geben?‘. Also schlicht: ‚Wem muss ich parieren und wer mir?‘ Dann setzte er noch hinzu: „Die kennen den Begriff des Handlungsspielraums nicht und halten sich unbeirrbar an das ihnen Angewiesene“. Nun, es gibt aus dem Jahr 1999 ein lehrreiches Buch, das sich eben damit befasst. Jacques Pateau heißt der Autor, und der Titel des deutsch geschriebenen Buchs lautet: „Die seltsame Alchimie in interkulturellen Managements“. Da wird nun dargelegt, dass die Franzosen ihre Direktiven immer von oben bekämen, während Deutschen sich diskutierend auf das zu Machende einigten. Dann aber würden sich die Deutschen einigermaßen stur an das schließlich Verabredete halten, während die Franzosen mit dem ihnen von oben Angewiesenen elastischer umgingen.

So seien schließlich die Unterschiede, so dieser Franzose aus seiner Sicht, doch wieder nicht so groß: am ‚demokratisch‘ Verabredeten hielten die Deutsche strikt fest, während die Franzosen mit dem ihnen ‚undemokratisch‘ Zugewiesenen eher großzügig umgingen. Es entspricht nicht ganz dem von jenem deutschen Unternehmer Gesagten. Überhaupt: man hört, wenn man so fragt, Verschiedenes, so dass man immer zurückfragen möchte ‚Ist das wirklich so?‘. Ein neueres Buch, aus dem Jahr 2002, diesmal von einem Deutschen, Norbert Breuer, schildert auf über 500 Seiten, wie man zum „Geschäftserfolg in Frankreich“ (so lautet der Titel) komme.

Der Untertitel lautet: „Fakten, Markstrategien, Interkulturelles zu Deutschlands Handelspartner Nr. 1“. Da finden sich auch sehr genaue Anweisungen über das Verhalten, das Franzosen etwa bei einem Arbeitsessen erwarten. Wobei der Autor sogleich voraussetzt – auch dies ist bemerkenswert und ist ein Teil des Problems -, es seien die Deutschen, die den Erwartungen der Franzosen zu entsprechen hätten und nicht umgekehrt die Franzosen denen der Deutschen. Aber dies ist nun einmal die sozusagen auch wieder kulturelle, also historisch gewordene Voraussetzung auf beiden Seiten. Wir Deutsche wissen irgendwoher oder gehen halt davon aus (und ist es nicht wirklich so?), dass uns die Franzosen an Lebensart überlegen seien. Diese Voraussetzung machen natürlich die Franzosen auch. Sie sind allenfalls bereits – auch dies gehört zu ihrer Lebensart -, für bestimmte Einbrüche der Deutschen, die nie ganz vermeidbar sind – „eh bien, c’est comme ça, c’est pas grave“ – Verständnis aufzubringen.

(Quelle: Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton vom 05.06.2008)